Besuch aus Finnland

“In der Küche schläft ein Wandergeselle, nicht erschrecken”, murmelt es verschlafen aus dem Schlafsack, als Lola am Freitagmorgen Anstalten macht, als Erste aufzustehen. Der, der da murmelt, ist Hagen, der am Vorabend vor dem Schlafen gehen nur noch ein paar Minuten ins Feuer gucken wollte, als plötzlich Schritte aus dem Dunklen zu hören waren und die stilechte Discounter-Bewegungsmelder-Solar-Gartenleuchte hell aufleuchtete. Plötzlich stand da, mitten in der Nacht, Wandergeselle Paul. Vollständig unerwartet war das nicht, Paul arbeitet gerade in Helsinki und ist ein Kumpel von Anton. Wir hatten ihn vor ein paar Tagen eingeladen, doch mal vorbeizukommen. Doch dass er mitten in der Nacht hier aufschlägt, ist dann doch beeindruckend. Wandergesellen reisen nämlich traditionell ohne Handy und - der Name verrät es - ohne eigenes Auto. “Wie hast Du überhaupt hier hergefunden?” - “Ich bin von Tallinn getrampt und habe an der Straße noch mal genau aufs Handy meiner Mitfahrgelegenheit geschaut.” Angesichts der Tatsache, dass die nächste Straße mindestens 2 Kilometer durch den Wald entfernt liegt und es bei der Ankunft stockdunkel war, durchaus imponierend. Gut, dass wir unsere stilechte Discounter-Bewegungsmelder-Solar-Gartenleuchte als Leuchtsignal am Weg aufgestellt hatten.

Lola und Anton präsentieren die fertige Kocherkiste

Mit Paul einen weiteren Vertreter eines Holzgewerks dabei zu haben, hilft uns sehr, wir haben am Freitag nämlich ein paar Holzarbeiten auf der Liste. Anton und Lola machen sich zusammen daran, eine Holzkiste für unsere neuen Gaskocher zu bauen. Über die genaue Gestaltung und den gewünschten Funktionsumfang philosophieren wir schon seit Tagen. Die Kocherkiste soll nämlich im Betrieb als Tischchen und Regal genutzt werden können. Fleißig werden Bretter gesägt und zurecht gehobelt, bevor alles zu einer Kiste und einem abnehmbaren Kistendeckel zusammengenagelt und -geschraubt werden kann. Passend für die Kocherfüßchen werden sogar feine Rillen in den Deckel der Kiste gestemmt, damit die Kocher wirklich sicher stehen. Mit dem Ergebnis sind wir alle sehr zufrieden!

Paul und Hagen schauen sich das aus dem Augenwinkel gespannt mit an, sind aber in der Scheune mit der Fortführung des Projekts MFZ (Mückenfreie Zone) zugange, für die gestern schon ein Zwischenboden entfernt worden war. Zur Erklärung: Die MFZ besteht im Kern aus einem engmaschigen, dafür besonders großen Netz, das zukünftig für mückenfreie Entspannung, Vereinsbesprechungen und Arbeit am Laptop genutzt werden soll (Während der Autor diese Zeilen tippt, sitzt er im Übrigen schon im Endprodukt). Fast 40 Kubikmeter sollen so entmückt werden. Der Teufel steckt aber im Detail: Wir können ja das empfindliche Netz nicht einfach so an die Scheunenwand tackern. Natürlich müssen wir aus alter Tradition eine möglichst komplizierte Seilführung in der Scheune installieren. Leser des Blogs erinnern sich an die vollautomatische Leinwand-/Kinovorhang-Kombination vom letzten Jahr. Das Kino ist auch hier der Knackpunkt: Um die Sicht auf die Leinwand nicht zu versperren, muss das Netz der MFZ bei Filmvorführungen so hochziehbar sein, dass es nicht im Weg hängt. Dafür bauen Paul und Hagen, mit gelegentlicher Hilfe von Anton, der zwischen Kocherkiste und MFZ hin- und herspringt, einen großen, höhenverstellbaren Holzrahmen, und statten das Mückennetz mit kleinen Holzriegeln und Gewichten so aus, das es nachher optimal darunter hängt.

Paul bastelt am Mückennetz

Auch Lukas ist nicht untätig, er setzt derweil einen Teig für Roggenmischbrot mit Sauerteig an. Der soll im Dutch Oven gebacken werden, praktisch einem schweren, gusseisernen Topf, der mit Kohle oder Glut aus dem Feuer vorgeheizt wird. Hier die richtige Temperatur einzustellen, verlangt Erfahrung, Fingerspitzengefühl und ein bisschen Glück. Wie schön war es noch letzte Woche gewesen, als wir in der Zentrale einfach den Ofen auf Umluft stellen konnten. Nach einer Weile beschleicht die Umstehenden nicht nur ein ungutes Gefühl, auch ein unguter Geruch steigt uns in die Nase. Der Dutch Oven war wohl etwas zu großzügig vorgeheizt gewesen. Das Brot ist schwarz von unten. Doch unter der ersten verbrannten Schicht zeigt sich, nach einiger Nacharbeit mit dem Brotmesser, dann doch ein formidables Roggenmischbrot mit Sauerteig. Wir lassen es uns zum Abendessen mit Kartoffelsuppe und Hapukoor, einer Art estnischer saurer Sahne, jedenfalls schmecken. Und so viel sei vorweggenommen: Das nächste Brot gelingt zwei Tage später besser!

Lukas pflegt den Brotteig

Kurz vor Feierabend bastelt Hagen noch ein Projekt zusammen, das er schon Zuhause vorbereitet hatte. Mit einer Vielzahl selbstgebastelter Adapter wird zuerst ein WLAN-Router, der früher mal Teil des Potsdamer Freifunk-Netzes gewesen war, an eine Powerbank gebastelt. LEDs beginnen zu blinken. Dann kommt noch ein mobiler Internet-Stick dazu und zwei große Antennen werden angeschraubt. Und schließlich, nach ein bisschen wackeln, SIM-Karte einlegen, neu starten und Daumen drücken gibt es plötzlich WLAN in der Scheune. Aber nur kurz, dann wird zum Essen gerufen und erstmal alles schnell wieder eingepackt. Auf dem Platz haben wir sehr schlechten Empfang, und für die Antenne muss demnächst noch mal der optimale Platz - wahrscheinlich möglichst weit oben - gefunden werden.

Ein WLAN-Router mit extra Mobilfunkantennen steht unter dem Mückennetz. Daneben ein Laptop, der 5 Mbps zeigt
Ein WLAN-Router, eine Power Bank und eine Mobilfunkantenne auf einem Tischchen

Und dann ist plötzlich Sonntag. Heute haben wir uns einen freien Tag vorgenommen und wollen unsere neuen Nachbarn flussabwärts besuchen. Kurz vorher, gegen 11 kommt Krista zum ersten Mal aus Tallinn zu Besuch. Schön, dass wir uns nach einem Jahr alle wieder sehen! Krista bekommt noch mal eine schnelle Hofführung und kann in echt bestaunen, was hier im Blog schon zu lesen war. Bevor es losgeht verabschieden wir noch Paul, der muss Montag wieder arbeiten und heute noch nach Helsinki. Ein kurzer aber schöner Besuch!

Krista und Marju sitzen mit Anton, Paul und Lukas am Kaffeetisch

Dann steigen Krista und Marju ins Auto, und Lukas, Lola, Hagen und Klaas, der Samstag zugereist war, machen sich auf den Fußmarsch zu den neuen Nachbarn. Die haben auch ein ganz schön ambitioniertes Projekt vor sich. Da ist ein gar nicht so kleines Haus, das schon bewohnbar ist, aber auch große alte Ställe in Blockbauweise. Besonders ein Gebäude in der estnischen “Rehe”-Bauweise gefällt uns gut. Dieser Typ Haus ist so zweigeteilt, dass Tier und Mensch früher unter dem gleichen Dach wohnen konnten. Streng genommen flitzt noch heute das ein oder andere Mäuschen durchs Dach, und auch Nerze sind hier wohl häufige Gäste. Bei manchen Gebäuden ist wirklich noch viel zu tun, aber der Garten ist schon sehr schick, mit vielen verschiedenen Pflanzen, Blumen und Fröschen, die dazwischen umherhüpfen. Wir setzen uns in die Küche, trinken Kaffee und essen mal wieder Kuchen - heute estnischen Honigkuchen - und unterhalten uns den ganzen Nachmittag über die Herausforderungen, die unsere Projekte so mit sich bringen. Von Strom- und Wasserversorgung, über kaputte Dächer zur Baumpflege, wir haben uns wirklich viel zu erzählen.

Ein Dachstuhl der Rehe-Bauweise von innen fotografiert
Ein Dachstuhl der Rehe-Bauweise von innen fotografiert

Nach einem ruhigen, langen Tag machen wir uns auf den Heimweg. Anton kocht uns ein scharfes Chili sin Carne, das wir - natürlich - mit Hapukoor essen und lassen so langsam Ruhe einkehren. Die einen waschen ab, die anderen schreiben Blog, und die Dauerlauf-AG verirrt sich auf dem Acker. Wir machen es uns jetzt gemütlich und lassen wieder von uns hören. Bis bald!

Drei Gestalten wandern über einen Schotterweg im Wald

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