Erster Estlandreisebericht

Zu siebt trafen wir uns im September 2023 in Tallinn. Unser Ziel war es, in den nächsten zwei Wochen das Land (weiter) kennen zu lernen, als Gruppe gemeinsam Zeit zu verbringen und potentielle Höfe für unser Projekt anzuschauen. Ein Teil der Gruppe war bereits eine Woche früher angereist und hat den Süden Estlands mit seinem Großen Eierberg – der höchsten Erhebung des Baltikums – bewandert. Als sich dann alle in Tallinn gefunden hatten, führte unsere Reise zunächst an der Westküste entlang. Neben der Küstenstadt Haapsalu und dem Matsalu-Nationalpark war auch die Stadt Paldiski Teil der Reise. Sie war in der Sowjetunion ein wichtiger Militärstützpunkt und Zivilisten war der Zugang verboten. Deutlich älter als die Bauten der Sowjetzeit sind die Ruinen einer Festung, die der Zar Peter I in der Nähe der Stadt erbauen ließ. In den Ruinen gibt es heute kleine Trampelpfade, Fahrrad-Trails und ein Discgolf-Feld. Discgolf ist in Estland sehr beliebt und in den letzten Jahren sind viele neue Felder endstanden.

4 Menschen stehen auf der Straße vor alten Häusern

Nachdem wir die ersten Abende und Nächte immer auf Zeltplätzen hinter den Dünen, mit Sonnenuntergängen und mal mehr oder weniger Wind oder Anglern am Strand verbracht hatten, führte uns die Reise dann ins Innere Estlands, zunächst nach Viljandi. Die Stadt ist bekannt für ihr großes Folk-Festival, ihre alternative Szene und die tolle Altstadt. Bei unserer Erkundung der Stadt haben wir das Café der Musikhochschule entdeckt und dort auf der sonnigen Dachterrasse mit Blick auf die Ruinen der vom Deutschen Orden erbauten Ordensburg einen Kaffee getrunken und dabei die Schaukel in der Burgruine entdeckt. In Estland gibt es riesige Schaukeln, auf denen man (je nach Größe) mit 2 bis 10 Menschen schaukeln kann und sie dienten den Menschen als Treffpunkt und Gesprächsort.

Etwas weiter nördlich verbrachen wir die beiden folgenden Nächten auf zwei Zeltplätzen am Pedja jõgi (= Fluss). In der Nähe der Plätze gibt es einen Übungsplatz der estnischen Miliz, deren Schießgeräusche ein starker Kontrast zur friedlichen Landschaft bildeten. An dem mäandrierenden Fluss konnten wir Eisvögel beobachten, hoch über dem Wasser schaukeln und sogar an einer tiefen Stelle baden. Im Dunkeln musste man dann auf unserem Zeltplatz in gekonntem Slalomlaufen die Kuhfladen umgehen und unsere Frühstücksbank mussten wir mutig vor einer Kuhherde beschützen.

Mittags- und Planungspause im Wald

Nach vielen Abfahrts- und Ankunftskeksen stand dann der Besuch auf dem Hof von Freunden in der Nähe von Paide, in der Mitte Estlands an. Dort gab es viele gemeinsame Essen mit Suppe, viel Kuchen und Hapukoor (= Saure Sahne). Wir genossen die Sauna, die in einer alten Blockhütte ist und mit einem Holzofen, an dem ein Wassertank für Warmwasser angebracht ist betrieben wird. Traditionell schlägt man sich in der Sauna mit Bündeln von Birkenzweigen selbst oder gegenseitig ab. Das fördert die Durchblutung und macht noch dazu einen ganz besonderen Geruch in der Sauna.

7 Menschen vor altem Hofgebäude

Vom Hof aus starteten wir dann mit der Besichtigung verschiedener Höfe, die für unser Projekt in Frage kommen könnten. Die Höfe unterschieden sich sehr in ihrer Größe, Lage und Zustand. Um sie später besser auseinanderhalten zu können, bekamen alle Höfe spaßeshalber einen Namen nach einer Frucht, die wir dort gefunden oder gegessen haben. Wir konnten auf diesen Rundfahrten viele Eindrücke sammeln und Vorstellungen austauschen, wir haben diskutiert und gemeinsam herumgesponnen, Details entdeckt und uns wie bei Petterson und Findus gefühlt. Zwischendurch kamen aber auch (Moor)Spaziergänge und Hundekraulen, sowie der Ausbau der alten Veranda als Spielhaus für die Kinder und das Batuut (=Trampolin) bei unseren Freunden nicht zu kurz. Auf unserer weiteren Reise in Richtung Tallinn, ergab sich sogar noch die Gelegenheit, den „Kirschhof“ auch von Innen zu besichtigen und dabei die Rehe-Bauweise genauer anzuschauen. Das ist eine Bauweise, bei der es im Haus einen hohen Raum mit einem großen Ofen ohne Schornstein gibt. Dieser Raum diene als Wirtschaftsraum und als Trockenraum für die Ernte und seine Wände sind in der Regel schwarz vom Ruß.

Moor

Die letzte Nacht im Zelt verbrachten wir an der Nordküste Estlands. Zum Abendessen bereiteten wir eine Riesenzucchini zu, die uns unsere Freunde geschenkt hatten und hatten einen schönen Abend mit Kerzenschein und Wellenrauschen. Am nächsten Morgen wurden wir leider von einem starken Regen überrascht, sodass wir im Tallinner Hostel erstmal die Zimmer mit Zeltplanen dekoriert haben.

In der Hauptstadt mussten wir uns dann von unserem kleinen Bus verabschieden, der sogar einen eigenen Handfeger bekommen hatte. Wir verbrachten den regnerischen Tag im Café und in einem Antiquariat, in dem sich alle gut mit Postkarten austatten konnten. In den nächsten Tagen besuchten wir unter anderem das Kunstmuseum (KUMU) und machten Bekanntschaft mit René, dem selbstfahrenden Bus. Nach Sockeneinkäufen und weiteren Museumsbesuchen haben wir uns auch das Lichterfest im Park mit Pferden und Feuer nicht entgehen lassen. Einen Tag verbrachten wir im Estnischen Freilichtmuseum. Man kann dort viele Höfe und Häuser aus verschiedenen Zeiten und Regionen Estlands sehen und mit ihren „Bewohner*innen“ wirken diese teilweise sehr echt. Am letzten Abend der Reise hielten wir die zweite Mitgliederversammlung des Vereins und belohnten uns anschließend mit Burgern im Restaurant „Peatus“. Am nächsten Tag stand dann die gemeinsame Abreise am Busbahnhof an, die uns mit Luxexpress und Bahn über Riga, Vilnius und Warschau nach Berlin führte.