Wann ist denn das passiert?
Der Donnerstag beginnt mit Buchweizenbrei und Apfelmus von eigenen Bäumen. Gestärkt vom ausgiebigen Frühstück beginnen wir den Tag. Janne, Stella und Lukas fahren los zu einer großen Einkaufstour während der Rest der Gruppe auf dem Hof arbeitet. Im Haupthaus wird weiter Putz von den Wänden abgeschlagen, dass der Kalk nur so spritzt! Am Nachmittag wird endlich die Zwischendecke des Zimmers mit Wasserschaden geöffnet. Eine dicke, schwarze Pestbeule, die unter dem Loch im Dach aus einer Pressspanplatte hing, wird unter gebührendem Sicherheitsabstand mit einer Fichtenstange angestochen. Luise übernimmt todesmutig diese Aufgabe, während Staubmaske tragende Schaulustige dem Spektakel durch die Tür aus dem Nachbarzimmer folgen. Das Ergebnis ist unspektakulär: Die durchweichte Pressspanplatte zerfällt, die darüber liegenden Bretter sind schimmlig, aber noch an Ort und Stelle. Dennoch muss bald noch ein größerer Teil der Decke entfernt werden.
Hagen und Klaas hatten gestern eigentlich vorgehabt, das Problem an der Wurzel zu packen: Das Loch im Dach soll ja noch geflickt werden. Die Nachbarbaustelle ist dann aber doch zu verlockend: Lola, die schon am Mittwoch einen Baum gefällt hatte, legt jetzt richtig los und fällt gleich noch vier weitere Fichten, die dem Haus zu nahe kommen. Ein paar Baumstümpfe werden stehen gelassen, vielleicht kommt hier bald noch eine Plattform hin? Auf jeden Fall müssen Fichten entastet und zu Feuerholz verarbeitet werden. Lola und Jo nehmen sich der Sache an, und auch Hagen und Klaas, die eigentlich auf dem Baugerüst stehen sollten, flitzen plötzlich mit Axt und Säge durch die Bäume. Das Dach wird an diesem Tag nicht mehr angefangen. Macht aber nichts, die Nacht bleibt trocken.
Parallel laufen auf der anderen Seite des Grundstücks weitere Grünarbeiten an: Lukas schwingt den Freischneider und schafft weitere Freiräume an der Jurte.
Am Nachmittag fahren Petra und Anna zu Marju und holen eine Handpumpe für einen unserer zwei am Vortag gefundenen Brunnenschächte ab. Wie die funktioniert - und ob sie zu unseren Brunnen passt - das müssen wir noch herausfinden. Vorläufig holen wir also weiterhin Trinkwasser von der nahegelegenen Quelle. Solche Quellen spielen im estnischen Naturglauben eine große Rolle: Ihr Wasser gilt als besonders gesundheitsförderlich und häufig werden sie für kleine Opfergaben genutzt. Auf jeden Fall schmeckt es!
Der Tag endet mal wieder mit einer Überraschung: Heli und ihre Familie kommen auf einen kurzen Besuch vorbei und schauen sich die Baustelle an. Heli ist Denkmalschutzbeauftragte in einem naheliegenden Landkreis und Annas Gastmutter, bei der sie ein Jahr als Austauschschülerin gelebt hat. Die Kinder sind begeistert und sehen einen großen Abenteuerspielplatz. Ihre Tochter möchte sofort in der Küche helfen und über Nacht bleiben. Die Erwachsenen geben Tipps zum Restaurieren der alten Kittfenster und bewundern unser Stallgebäude.
Nach einem Donnerstag des Aufschiebens wird nun, am Freitag, endlich das Dach in Angriff genommen. Luise und David bauen eine Leiter, die sich perfekt in die Wellen des Eternits legt, ohne die alten Platten zu zerstören. Schließliche arbeiten Hagen und Klaas auf dem Gerüst, tragen alte Dachplatten ab und ziehen einen provisorischen Sparren ein.
In der Küche und im Werkzeugraum werden derweil weitere Regale gebaut, eine Spülstraße wird eingerichtet, dafür hatte Janne zwei Feuerabende lang zunächst eine große Häkelnadel geschnitzt und aus sehr grobem Sisalgarn extra ein großes Abtropfnetz gehäkelt. Sieht modern aus!
Anna und Lola haben in der Zwischenzeit das Grundstück abgesteckt. Die Koordinaten der Grundstücksgrenzen stehen im estnischen Geoportal maamet zur Verfügung, gewissermaßen ein digitales Kataster des ganzen Landes. Schon am Dienstag hatte unser Naturführer Hanno uns erklärt, dass Karten in der Sowjetzeit sehr ungenau waren. Deshalb schätzen Esten gute Karten und genaue, frei verfügbare Geodaten heute umso mehr.
In der Kaffeepause fällt das Fehlen von Hagen und Klaas auf. Die decken das geöffnete Dach direkt wieder mit neuen Platten ab. Auch zwei weitere undichte Stellen werden noch schnell geflickt und mit einem Mal ist eine der größten und wichtigsten Baustellen der Bauhütte fertig: Das Dach ist dicht! Hoffen wir jedenfalls, beim nächsten Regen gucken wir noch mal extra genau hin. Wir freuen uns über das Erfolgserlebnis kurz vor dem Wochenende, befestigen einen kleinen Birkenzweig am Gerüst und stellen ein paar Getränke zum Kühlen in den Fluss. Heute Abend feiert das Haupthaus sein zweites Richtfest!
Eine weitere Baustelle wird überraschend fertig: Etwas versteckt zwischen unserem Erdkeller und der Scheune hatten Jo und David die Scheunenwand wieder vollstädig ausgebuddelt. Hier war Erde vom Erdkeller an die Wand gerutscht und hatte das Fundament und die Schwelle beschädigt. Mit der überschüssigen Erde wurden große Löcher auf dem bisherigen Parkplatz aufgefüllt. Ganz schön viel Erde, die da plötzlich aufgetaucht ist!
Nach etwas mehr als einer Woche Bauzeit ziehen wir vorläufig Résumé: Wir haben schon echt viel geschafft! Das findet auch Georg, der nach einigen Tagen in Tallinn mal wieder zum Mittagessen vorbeischaut und erstaunt ist. Wo viele Jahre nur Grünzeug und Gras zu sehen waren, ist jetzt wieder Leben eingekehrt, alte Wege sind wieder begehbar und jeden Tag entdecken wir eine neue Lichtung. Hof und Zelt werden immer wohnlicher, die passierenden Autofahrer schauen immer erstaunter und werden immer zutraulicher. Wir sind überzeugt: Einige fahren extra hier vorbei, um den Baufortschritt zu begutachten. Nach kurzer Zeit in Rihula haben wir schon viele gute Gespräche geführt und die ein oder andere Anekdote aus der Vergangenheit des Hofes erfahren. Wir sind gespannt auf die nächste Woche, aber erst mal ist jetzt Richtfest und dann Wochenende. Bis bald!